Sonntag, 10. September 2017

Predigt am 10. September 2017 (13. Sonntag nach Trinitatis)

Gottesdienst (mit Taufe und) Tauferinnerung


Liebe Schwestern und Brüder,
reden wir über Familie. Das passt ja auch zur Taufe. Taufe ist ein Familienfest. Ein kleiner neuer (oder vielleicht auch nicht mehr ganz so neuer) Mensch wird willkommen geheißen – in seiner Familie, von seiner Familie: Eltern, Geschwister, Großeltern, Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen. Und oft genug sind auch die Taufpaten Teil der Familie.
Familie heißt: Du bist nicht allein auf der Welt. Du hast Menschen, die dir ganz nahe stehen. Die sich um dich kümmern, für dich sorgen: wenn du es noch nicht selber kannst. Und im Idealfall auch wieder, wenn du es nicht mehr selber kannst.
Familie, das ist auch ein Thema bei den anstehenden Wahlen. Was tut ihr für Familien?, werden die Politiker und Parteien gefragt. Oder: Wie steht ihr überhaupt zur Familie? Und: Was versteht ihr unter Familie? – „Familie ist dort, wo Kinder sind“, hieß es mal. Dann ist auch die alleinerziehende Mutter Familie: Kleinfamilie, Kleinstfamilie. Oder das schwule Paar mit Pflegekind: Familie ohne Blutsbande. Oder sogar die Kita-Gruppe: Familie ohne Eltern, Familie auf Zeit. Und wir haben doch das Gefühl: Da fehlt was. Familie soll mehr sein. Vielleicht doch Mutter, Vater, Kinder; Großeltern, Onkel und Cousinen. Und auch dann noch, wenn die Kinder groß sind, bleiben wir Familie. Wir gehören zusammen. Wenn sich Kinder und Eltern voneinander abwenden, wenn Geschwister nichts mehr voneinander wissen wollen, wenn sich Ehepartner trennen, dann ist das immer schmerzhaft, weil etwas zerbricht, was uns ganz tief und ursprünglich verbindet: die Familie.
Familie ist auch ein Thema bei Jesus. Nicht nur, wenn er darüber spricht, dass Ehepartner beieinander bleiben sollen („Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.“) oder wenn er die Kinder segnet. Nein, auch ganz anders. Denn Jesus definiert Familie ganz neu.
Während Jesus mit den Schriftgelehrten diskutierte, waren seine Mutter und seine Geschwister gekommen. Sie blieben vor dem Haus stehen und schickten jemand zu ihm, um ihn zu rufen. Die Menschen saßen dicht gedrängt um Jesus herum, als man ihm ausrichtete: „Deine Mutter und deine Brüder und Schwestern sind draußen und wollen dich sprechen.“ – „Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Geschwister?“, erwiderte Jesus. Er sah die an, die rings um ihn herum saßen, und fuhr fort: „Seht, das sind meine Mutter und meine Geschwister! Denn wer den Willen Gottes tut, der ist mein Bruder, meine Schwester und meine Mutter.“
Markus 3, 31-35
Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Geschwister?
Für Jesus jedenfalls nicht die Kleinfamilie in Nazareth, in der er aufgewachsen ist. Und schon das war ja eher eine Patchwork-Familie: Mit zwei Vätern. Und der eine ist inzwischen schon nicht mehr da.
Vielleicht ist das ja auch gerade der springende Punkt, warum sie ihn suchen: Jesus ist der Älteste, und er soll sich um seine Mutter und seine jüngeren Geschwister kümmern. Aber er will nicht. Er ist weggegangen von zuhause. Hat Vater und Mutter verlassen, aber nicht, um seinem Weib anzuhangen, wie geschrieben steht; das wäre ja noch angegangen. Nein, er ist weggegangen, weil er sich zu Höherem berufen wusste: das Reich Gottes verkündigen und vorleben.
Und das Reich Gottes, wie Jesus es versteht, ist nicht das Heile-Familien-Leben. Im Gegenteil: Es kann sogar Familienbande zerreißen: Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert, kann Jesus sagen (Matthäus 10,37). Zumindest bei seinem Jünger Petrus ist es ziemlich sicher, dass er seine Frau zuhause hat sitzen lassen, um Jesus nachzufolgen. Und sein späterer Jünger Paulus meinte: Familie ist nur eine Notlösung; als Single kann ich dem Herrn besser dienen. So gesehen: Mönchtum und Zölibat haben schon ein paar gute, biblische Gründe für sich. Und auch wenn ich nicht so leben kann und will, mir nötigt diese katholische Entschiedenheit auch Respekt ab.
Meine liebe Frau (die heute mit uns ihre Tauferinnerung begeht), ist nicht als Kind getauft worden, sondern erst als Jugendliche, mit 19 Jahren. Sie erinnert sich also tatsächlich noch an ihre Taufe. Für sie war das auch ein Schnitt in ihre Familienbande hinein. Ihr Vater, ein überzeugter Kommunist, hat über ein halbes Jahr lang nicht mehr mit ihr geredet. – Auch das kann eine Konsequenz der Taufe sein. Aber sie hat eine neue Familie hinzugewonnen: Brüder und Schwestern in der Jungen Gemeinde und in der Studentengemeinde, christliche Freunde, in deren Gemeinschaft sie Heimat gefunden hat; mit manchen von ihnen ist sie heute noch herzlich verbunden. Auch das ist Familie. Familie Gottes.
Jesus will nicht weniger Familie, sondern mehr Familie. Familie nicht nur, wo Kinder sind. Familie nicht nur, wo Mann und Frau zusammen leben. Familie nicht nur, wo Alte und Junge füreinander sorgen. Familie nicht nur, wo wir uns bei Geburtstagen, Hochzeiten, Todesfällen – und natürlich Kindtaufen – treffen. Jesus sagt: Familie ist, wo Gott ist. Oder auch andersherum: Wo Gott ist, da ist Familie.
Da sitzen sie eng gedrängt um ihn herum und lauschen seinen Worten. Da diskutieren sie miteinander, was Gottes Wille ist. Da bringen sie Kranke und Behinderte und Kinder mit, damit er sie anrührt, damit es ihnen und allen miteinander besser geht. Da treffen sie sich im Haus eines stadtbekannten Betrügers, und der sagt: „Ich gebe zurück, was ich ergaunert habe.“ Da treffen sie sich bei einem angesehenen und rechtschaffenen Gemeindeglied, und eine Hure salbt Jesus die Füße. Und überall da ist Gottes Familie: Menschen, die nach Gottes Willen fragen und ihn tun. Und bei ihnen allen wird etwas gut, wird etwas heil, wird etwas besser, als es vorher war. Da ist Familie Gottes. Und ob sie dabei als Schwestern und Brüder, Eltern und Kinder, Tanten und Neffen geboren sind, spielt keine Rolle. Sie alle sind Jesu Verwandte.
Das passt auch, wenn wir ein Kind taufen. Wir haben T. im Gottesdienst der Gemeinde getauft. Weil er nicht nur seinen Eltern und seiner Schwester, seinen Großeltern und seinen Paten willkommen ist. Er ist Gott willkommen. Er ist uns willkommen in der Gemeinde Jesu.
Und wir? Sind wir als Christen, sind wir in der Gemeinde füreinander da, helfen und unterstützen einander, diskutieren und reden und feiern miteinander, hören miteinander auf Jesu Worte und heilen und segnen einander? Ist unser Leben in der Familie Jesu besser als ohne ihn? Und merkt man uns das an? – Jedenfalls müsste es so sein.

Liebe Schwestern und Brüder – habe ich zu Beginn gesagt. Und ich will es auch künftig so halten und euch so ansprechen. Dass wir es merken: Ja, wir sind Schwestern und Brüder Jesu, Familie Gottes, Geschwister im Herrn.

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