Sonntag, 5. November 2017

Predigt am 5. November 2017 (21. Sonntag nach Trinitatis)

Jesus sprach zu seinen Jüngern: „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.
Wer Vater oder mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert. Wer sein Leben findet, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.“
Matthäus 10, 34-39

Liebe Schwestern und Brüder,
immer wenn es zu harmonisch wurde in unserem Bibelgesprächskreis auf Teneriffa, wenn etwa alle für die ökumenische Verständigung waren oder Verständnis für Vertreter anderer Religionen zeigten, da hat er mit der Faust auf den Tisch gehauen und gesagt: „Jesus hat gesagt: Ich bringe das Schwert, und nicht Frieden. – Ich bringe das Schwert.“ – „Ja, aber …“, wir haben immer wieder versucht ihn zu beruhigen und Argumente zu finden gegen das Schwert, gegen die Konfrontation. Er ist dann manchmal zu mir gekommen nach der Bibelstunde und hat sich entschuldigt, dass er sich so aufgeregt hat, aber das stünde ja nun mal so geschrieben…
Ja, das steht so geschrieben. Jesus sagt, dass er nicht den Frieden bringt. Jesus sagt, dass er Streit bringt, Entzweiung.
Jesus – ein Pazifist, ein Peacer? – Vergiss es!
Jesus – ein Familienmensch? – Vergiss es!
Die heile Familie interessiert ihn nicht. Er lässt seine Mutter und seine jüngeren Geschwister allein zurück. Er ruft Petrus in die Nachfolge, der als Fischer eine Familie ernährt hat – er lässt sie zurück.
Er umgibt sich mit Frauen, die ihre Männer zuhause sitzen lassen, um mit ihm durch die Gegend zu ziehen.
Er sagt dem, der ihm folgen will, aber erst noch seinen Vater begraben möchte: „Lass die Toten ihre Toten begraben!“
Er betätigt sich nicht in der Friedensbewegung, geht nicht zu den Römern, um mit ihnen gute Lebensbedingungen für sein unterdrücktes Volk auszuhandeln; er kündigt Krieg an, die Zerstörung Jerusalems.
Und auch für sich selbst lehnt er jeden Kompromiss ab, stirbt als Märtyrer und nimmt es in Kauf, dass es seinen Jüngern und Nachfolgern nicht besser gehen wird.
Immerhin, er kündigt es ihnen an. Sie müssen wissen, worauf sie sich einlassen.
Das ist Jesus. Geradezu unerträglich in seiner Härte, in seinem Anspruch.
*
Wie weit sind wir als christliche Kirchen in Mitteleuropa, als volkskirchlich geprägte Gemeinden davon entfernt?
Wir haben Jesus domestiziert. Wisst ihr, was das ist: domestizieren? So heißt das, wenn die Menschen aus einem Wildtier ein Haustier machen. Das braucht viele Generationen, aber wir kennen das:
Aus reißenden Wölfen werden Hunde, zuletzt Schoßhündchen.
Aus wilden Keilern werden Hausschweine.
Aus stolzen Gemsen werden zahme Zicklein.
Aus gewaltigen Auerochsen werden Rindviecher.
Und aus Jesus von Nazareth wird das herzliebe Jesulein.
Und aus einer radikalen Weltuntergangssekte wird eine Großorganisation mit elektronischer Mitgliederverwaltung und staatlich eingezogener Kirchensteuer.
Wir haben Jesus domestiziert. Er soll uns Mut machen für Frieden, Gerechtigkeit und Schöpfungsbewahrung. Er soll unserer Seele gut tun, wenn wir traurig sind. Und uns in Ruhe lassen, wenn wir fröhlich sind. Er soll uns Harmonie bringen und ein gutes Gewissen. Bei unseren faulen Kompromissen die Augen zudrücken und die Sünde rechtfertigen. Und alle soll er in den Himmel bringen. Und wenn jemand zu böse dafür ist, dann soll er ihn gut machen. – Unser liebes Jesulein, der gute Heiland.
Wir haben Jesus domestiziert. Ihn eingebunden in unsere kirchlichen Aktivitäten, ihm seinen Platz gegeben in der kirchlichen Liturgie, die oft genug einem Eiapopeia oder Hokuspokus näher kommt als der Anbetung im Geist und in der Wahrheit.
*
Manchmal hört oder liest einer ein Wort aus der Bibel, ein Wort von Jesus, und ist geschockt, überwältigt, weil Jesus so anders ist, so radikal, so brennend heiß – nicht so lauwarm wie unser Kirchenkaffee. Der geht dann los und tut etwas verrücktes. Verkauft, was er hat und geht in die Wüste, um dort auf Gott zu hören – der heilige Antonius, der erste Mönch. Oder er schlägt sein Erbe aus und sagt sich von seinem irdischen Vater los, um allein dem himmlischen Vater in Armut zu dienen – der heilige Franziskus von Assisi. Oder sie schenkt als Adlige ihre Besitztümer weg und geht als besitzlose Bettlerin zu den Ärmsten und Schwächsten – die heilige Elisabeth von Thüringen. Oder er gibt sein Studium auf und geht ins Kloster – oder sagt sich ein paar Jahre später von den Klostergelübden los und kehrt zurück in die Welt, setzt sein Leben aufs Spiel für die Freiheit eines Christenmenschen – der heilige Martin Luther, der nicht Heiliger genannt werden möchte, weil er weiß, dass er ein Sünder ist. Oder, oder, oder. So viele, die bereit waren, ihr Leben für Jesus zu verlieren, und die gerade so das wahre Leben gefunden haben.
Sie alle wurden für verrückt gehalten, zu radikal für diese Welt. Aber das hatten sie mit ihrem Meister Jesus gemein. Den haben sie auch für verrückt gehalten – erst seine Mutter und seine Geschwister, dann die Pharisäer und die politischen Führer, schließlich der römische Statthalter, der verurteilte ihn zum Tod am Kreuz.
Unser domestizierter Jesus – der wäre doch gar nicht erst ans Kreuz gegangen. Oder? – Jedenfalls haben wir, hat die christliche Kirche selbst sein Martyrium am Kreuz noch abgemildert, ihm einen Sinn gegeben und es vergoldet. Wir müssen uns schon viel Mühe geben, um uns diese Grausamkeit vorzustellen, wenn wir unsere Kruzifixe vor uns haben.
*
Unser Problem ist – schon seit fast 2000 Jahren ist das unser Problem –, dass wir nicht anders können, als Jesus zu domestizieren. Der wilde, ursprüngliche Jesus ist für uns nicht erträglich. Das war er schon zu seiner Zeit nicht. Darum sind ihm bis zu seinem Kreuzestod ja auch kaum mehr als 100 Personen wirklich gefolgt. Und als es ernst wurde, haben sich auch von denen die meisten abgewandt. Dem Johannesevangelium nach standen nur fünf seiner Anhänger am Kreuz, davon vier Frauen. Sein Apostel Judas hatte ihn verraten, sein Apostel Petrus hatte ihn verleugnet. Die übrigen Neun waren weggelaufen. Soviel zur Kreuzesnachfolge.
So ist es weitergegangen. Für einige hatte Christsein radikale Konsequenzen und einen hohen Preis. Für die Mehrheit eher nicht. Für sie stand der Lebensgewinn im Vordergrund: eine neue Art von Gemeinschaft, Fürsorge für Arme und Schwache, Hoffnung auf ein besseres Leben vor und nach dem Tod.
Und so ist es bis heute. So verkaufen auch wir den christlichen Glauben: Du kannst doch nur gewinnen: Freunde und Geschwister. Du kannst mitarbeiten und dich für gute Zwecke engagieren – das tut deinem Gewissen gut. Du kannst wunderbare Musik erleben – von Bach bis Lobpreis. Du kannst die Gewissheit bekommen, dass Jesus für dich alles gut macht, dich durchs Leben führt und deine Probleme löst. Und du kannst auf ein Leben nach dem Tod hoffen. Ist das nicht wunderbar?
Wir können nicht anders. Wir sind nicht radikal genug, um die Worte Jesu so zu ertragen und so zu leben, wie sie dastehen. Wir haben aus Jesus den lieben Heiland gemacht, den Familien-Kuschel-Friedens-Jesus. Und mit dieser Spannung müssen wir leben: dass wir als einzelne Christen und als christliche Kirche hinter dem eigentlichen Anspruch Jesu zurückbleiben.
Wir können nicht anders. Aber ER kann anders. ER kann Menschen verändern. Aus seinen Jüngern, die vom Kreuz weggelaufen sind, sind Glaubenszeugen geworden, die bis auf einen – nämlich genau dem, der unter dem Kreuz anwesend war – alle ihr Leben für ihren Herrn gelassen haben.

Jesus kann Menschen verändern. Und darum geschieht es doch immer wieder, bis heute, dass es einen oder eine ergreift und mitreißt und verändert, so dass er oder sie alles gibt oder auch alles aufgibt, die Brücken abbricht und Konflikte nicht scheut, um Jesus zu folgen.
Wie ist es bei dir?

1 Kommentar:

  1. alle achtung, das war mal eine gute aufklärung und macht sehr nachdenklich.

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