Sonntag, 27. August 2017

Predigt am 27. August 2017 (11. Sonntag nach Trinitatis)

Jesus sprach zu den Hohenpriestern und Ältesten des Volkes: „Was meint ihr? Es hatte ein Mann zwei Söhne und ging hin zu dem ersten und sprach: ,Mein Sohn, geh hin und arbeite heute im Weinberg.‘ Er antwortete aber und sprach: ,Ich will nicht.‘ Danach aber reute es ihn, und er ging hin. Und der Vater ging zum andern Sohn und sagte dasselbe. Der aber antwortete und sprach: ,Ja, Herr!‘, und ging nicht hin. Wer von den beiden hat des Vaters Willen getan?“
Sie sprachen: „Der erste.“ Jesus sprach zu ihnen: „Wahrlich, ich sage euch: Die Zöllner und Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr. Denn Johannes kam zu euch und wies euch den Weg der Gerechtigkeit, und ihr glaubtet ihm nicht; aber die Zöllner und Huren glaubten ihm. Und obwohl ihr’s saht, reute es euch nicht, sodass ihr ihm danach geglaubt hättet.“
Matthäus 21, 28-32


Liebe Gemeinde,
das kennen wir schon von unseren eigenen Kindern: „Nein, ich will nicht. Ich mach das nicht. Ich kann das nicht. Ich will lieber spielen. Ich will lieber zu meinem Freund gehen.“ Usw. usf. Und am Ende irgendwann hat es die Hausaufgaben doch noch gemacht, oder die Aufgabe im Haushalt. Mit Schnute und mit Nörgeln zwar. Aber immerhin.
Vielleicht kennen wir das auch von Mitarbeitern, dass sie sich um bestimmte Aufgaben drücken wollen, dass sie Ausreden finden, warum sie dies oder das nicht tun wollen. Und doch, am Ende haben sie getan, was nötig war.
Ja, vielleicht kennen wir es auch von uns selbst: diesen Widerstand gegen das, was nötig ist und wozu wir doch keine Lust oder keine Kraft haben. Am Ende tun wir’s doch. Und wir sind froh, wenn wir’s hinter uns gebracht haben.
Man fragt sich natürlich: Ist das nötig? Ist die ganze Nörgelei, Neinsagerei und Aufschieberei am Ende nicht Energieverschwendung. Wäre ein schnelles Ja und eine schnelle Erfüllung der unangenehmen Pflicht nicht einfacher?
Möglicherweise kennen wir auch das andere von unseren Kindern oder Mitarbeitern oder von uns selbst: einfach erstmal Ja sagen. „Ok. Mach ich.“ Dann hat die liebe Seele Ruhe. Aber zur Tat schreitet das liebe Kind oder der liebe Mitarbeiter noch lange nicht. Erst noch ein bisschen spielen. Erst noch was anderes machen. Der erste Schritt ist soooo schwer. Und am Ende bleibt’s liegen. Mancher hat sich durch krankhafte Aufschieberitis sein Studium oder seinen Abschluss versaut. „Ja, ich will.“ Aber dann, dann bleibt die Arbeit doch liegen.
Wer von den beiden tut, was von ihm erwartet wird? – Klar, am Ende ist es derjenige, der den Auftrag ausführt, auch wenn er erst Nein gesagt hat.


Wenn ich ehrlich bin, gefallen mir beide nicht. Der eine sagt Nein und macht schlechte Stimmung. Der andere sagt Ja und tut nicht, was er soll; da ist die Stimmung am Ende noch schlechter.
Ist es nicht viel einfacher, viel schöner, wenn man Menschen um sich hat, die einfach Ja sagen und Ja tun? Die nicht nörgeln, nicht diskutieren, die einen nicht hängen lassen und nicht hintergehen? Gehorsame Kinder, funktionierende Mitarbeiter?
Aber wenn ich drüber nachdenke, gefällt mir das auch nicht. Will ich das, wollen wir das: nur Ja-Sager, nur Mit-Macher, lauter angepasste und funktionierende Menschen?
Wie wäre das, wenn einer Nein sagt und bleibt bei seinem Nein? Sagt: „Ich tu das nicht. Ich will das nicht. Ich kann das nicht. Ich seh das nicht ein.“ Und tut es auch wirklich nicht?
Solche Leute sind schwierig: Querulanten, Eigenbrötler, Kritiker.
Aber irgendwie mag ich sie auch. Sie nötigen mir Respekt ab: Leute, die nicht einfach mitmachen und mitlaufen, sondern die zweifeln, die selber nachdenken, die widersprechen und infragestellen. Und nicht tun, wovon sie nicht überzeugt sind.
Wären das nicht eigentlich Menschen, wie Jesus sie sich wünscht? – Eure Rede sei Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, ist von Übel. (Matthäus 5,37) – Gerade, klare, eindeutige Menschen, deren Ja ein Ja und deren Nein ein Nein ist. Auf die kann ich mich verlassen. Auf die kann ich zählen. Sie reden mir nicht nach dem Mund. Sie sind keine Schönredner, Umfaller oder Wendehälse.
Oder doch nicht? – Gerade, klar, eindeutig. Oder einfach nur stur und selbstgerecht? Solche Leute haben ihre festen Überzeugungen und vorgefassten Meinungen. Wovon sie überzeugt sind, das ziehen sie durch. Wer sich ihnen in den Weg stellt, ist nur ein hinderlicher Bedenkenträger. Argumente zählen für sie nicht. Sie haben einmal Ja gesagt, und nun bleiben sie bei ihrem Ja. Oder sie haben Nein gesagt und werden für immer bei diesem Nein bleiben. Keine Chance auf einen Sinneswandel oder ein Entgegenkommen. Keine Hoffnung auf eine Änderung. Die Bibel nennt solche Menschen verstockt.
Ich denke daran, wie es damals war, vor 27, 28 Jahren. Manche haben sich damals ganz schnell gewendet: Eben noch überzeugte Kommunisten warfen ihre alte Ideologie über Bord und schufen sich in Nullkommanichts eine neue Existenz und Identität. Andere sind sich treu geblieben und verteidigen noch heute die Schüsse an der Mauer und die Verfolgung Andersdenkender.
Wer ist mir lieber? Der Wendehals oder der unverbesserliche Altkommunist? – Nicht so einfach zu beantworten, oder? – Ich neige trotzdem dem ersten zu. Ich weiß nicht, wie ehrlich seine Wende gewesen sein mag. Aber zumindest hat er sich als lernfähig erwiesen und sich von alten Irrtümern losgesagt.
Jesus wünscht sich Menschen, die klar Ja oder Nein sagen. Aber er wünscht sich auch Menschen, die fähig sind, sich zu ändern, umzudenken, einen neuen Anfang zu machen, Buße zu tun, wie es in biblischer Sprache heißt.
Pharisäer und Zöllner standen sich in der Evangelienlesung gegenüber.
Der eine überzeugt, alles richtig zu machen und es überhaupt nicht nötig zu haben, etwas zu ändern. Klar, gerade, stur. Unbußfertig.
Der andere überzeugt, alles falsch gemacht zu haben, Sünder zu sein, angewiesen auf Gottes Gnade. Sich bewusst, dass sein Leben anders werden muss.
Der eine hat ein für allemal Ja gesagt zu Gott und seinen Geboten und dabei bleibt er.
Der andere hat vielleicht irgendwann mal Ja gesagt, dann ist ein Nein daraus geworden, und jetzt möchte er doch wieder zu einem Ja kommen. Und er weiß, wie schwer das ist. Wie schwer es ihm auch diejenigen machen werden, die in ihm nur den sehen, der er schon immer war: den Zöllner, den Betrüger, den Gottlosen.
Die Zöllner und die Huren, sie können sich ändern, sagt Jesus. Manche sind zu Johannes gegangen und haben sich taufen lassen und haben ein neues Leben angefangen. Andere sind zu Jesus gekommen oder er zu ihnen, und sie haben gesagt: Wir fangen ein neues Leben an. Wir kennen ein paar Namen aus dem neuen Testament: Zachäus, Matthäus, Maria Magdalena…
Einmal Zöllner immer Zöllner, haben die Pharisäer damals gesagt oder wenigstens gedacht. Einmal Kommunist, immer Kommunist, haben die Pharisäer vor 27 Jahren gesagt oder gedacht, und haben die Nase gerümpft, wenn die Zöllner und Huren und Kommunisten bei Jesus oder in seiner Gemeinde aufgetaucht sind.
Einmal Pharisäer, immer Pharisäer. Sie denken, sie sind gut, so wie sie sind. Sie denken, sie brauchen sich nicht mehr zu ändern. Sie vertrauen auf ihre Qualitäten, auf ihren Glauben, auf ihr anständiges Leben. Sie halten sich etwas zugute darauf, dass sie auch in schweren Zeiten zur Kirche gestanden haben. Sie meinen, sie wären besser als andere. Und genau das ist das Problem. Sie sind nicht mehr bereit, ihr Leben zu ändern. Sie sind nicht mehr bereit, sich und ihre Überzeugungen infrage zu stellen. Sie sind fertig. Und doch nicht vollkommen. Sie halten sich für gut. Und darum sind sie unverbesserlich. Sie stehen sich und Gottes Gnade selbst im Weg. Und verpassen deshalb ganz viel.
Jesus setzt darauf, dass Menschen niemals fertig sind. Er glaubt daran, dass sie fähig sind, sich zu ändern. Er hofft, dass aus einem Nein doch noch ein Ja wird. Und er achtet es, wenn aus einem Ja doch noch ein Nein wird.
Er freut sich über klare Entscheidungen: Ja, ja; nein, nein.
Aber er freut sich noch mehr, wenn einer bereit ist, umzudenken, dazuzulernen, Fehler zuzugeben, es nochmal zu versuchen und besser zu machen.
Keiner muss, keiner soll an der Stelle stehen bleiben, auf die er sich einmal festgelegt hat.
Nur wer sich ändert, bleibt sich treu, hat Wolf Biermann in einem alten Lied gesungen.
Das Leben ist Veränderung.
Das Leben im Gottvertrauen erst recht.
Vom Ja zum Nein zum Ja.
Immer wieder.


Jesus fragt: Wer von den beiden hat des Vaters Willen getan? Der Ja-Sager oder der Nein-Sager? –
Aber ist das überhaupt die wichtigste Frage, die entscheidende Frage?
Ich würde mir als Kind eine andere Frage stellen: Wen von den beiden hat der Vater mehr lieb?
Wer selber Kinder hat, hat es vielleicht schon gemerkt. Wir lieben unsere Kinder nicht, weil sie Ja oder Nein sagen, weil sie gehorsam sind oder nicht. Vielleicht sind wir traurig, vielleicht sind wir besorgt, wenn ein Kind Nein sagt zu dem, was wir von ihm erhoffen, erbitten, erwarten. Aber haben wir es deshalb weniger lieb?
Jesus hat ja noch eine andere Geschichte von zwei Söhnen erzählt, eine längere, bekanntere. Und es ist im Grunde doch die gleiche Geschichte. Der eine bleibt zuhause und tut täglich, was sein Vater von ihm erwartet. Der andere verprasst sein Erbe in der Fremde und kommt zerlumpt und abgebrannt nach Hause zurück. Er sagt Nein zu seinem Vater und kehrt dann doch um. Sein Bruder sagt Ja und am Ende doch Nein zur Liebe seines Vaters.
Wen von den beiden hat der Vater mehr lieb? – Müßige Frage: Er liebt sie beide.

Und wen von uns hat er mehr lieb? – Müßige Frage: Er liebt uns alle, uns Ja-Sager, uns Nein-Sager, uns, die wir angepasst sind und funktionieren; uns, die wir rebellieren und kritisieren.
Er liebt uns. Und er traut uns zu, dass wir uns treu bleiben, indem wir uns ändern.
Er liebt uns. Und das nennen wir Gnade.

Sonntag, 20. August 2017

Predigt am 20. August 2017 (10. Sonntag nach Trinitatis)

Im dritten Monat nach dem Auszug der Israeliten aus Ägyptenland, an diesem Tag kamen sie in die Wüste Sinai. Sie brachen auf von Refidim und kamen in die Wüste Sinai, und Israel lagerte sich dort in der Wüste gegenüber dem Berge.
Und Mose stieg hinauf zu Gott. Und der HERR rief ihm vom Berge zu und sprach: „So sollst du sagen zu dem Hause Jakob und den Israeliten verkündigen: ,Ihr habt gesehen, was ich an den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht. Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein. Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein.‘ Das sind die Worte, die du den Israeliten sagen sollst.“
2. Mose (Exodus) 19, 1-6

Wir Menschen sind in der Regel hier unten auf der Erde unterwegs. Zu Fuß oder mit fahrbarem Untersatz. Über Hügel und durch Täler. Und da können wir oft nicht sehr weit sehen. Nicht mal von Hohnstein bis Ehrenberg/Lichtenhain.
Es gibt natürlich auch Berge; von denen kann man weit sehen, und sie sind selber weit zu sehen – so wie die bekannten Berge der Sächsischen Schweiz oder des Erzgebirges. Von so einem Berg aus hat man einen herrlichen Überblick, einen weiten Blick über das Land. Und trotzdem bleiben Orte wie Ehrenberg oder Lichtenhain in den Tälern versteckt.
Am faszinierendsten für mich ist es, mich in ein Flugzeug zu setzen. Schon gleich nach dem Start wird der Überblick immer größer. Ich sehe Straßen, Dörfer, Städte, ganze Landstriche, Küsten, Inseln... Ehrenberg, Hohnstein, Sebnitz, Neustadt, alles auf einen Blick – wenn ich die Orte von da oben überhaupt noch erkennen kann.
Unsere normale Perspektive ist der Blick von unten. Die Froschperspektive. Nur manchmal haben wir die Gelegenheit von oben zu schauen: Aus der Vogelperspektive. Aus der Himmelsperspektive. Manchmal bekommen wir sowas wie einen Überblick.
*

Die Froschperspektive:
Sie ziehen durch die Wüste (wo ein Frosch nicht mal überleben würde). Seit drei Monaten schon ziehen sie durch die Wüste. Sie hatten das fruchtbare Land am Nildelta hinter sich gelassen, und da begann schon gleich die Wüste: Steine, Geröll, ein paar trockene Sträucher und Euphorbien, dazwischen Sand. Seit drei Monaten sind sie schon so unterwegs. Sie haben nur, was sie auf dem Leib haben und was sie und ihre Tiere, ein paar Esel, tragen können. Vielleicht sind noch ein paar Ziegen mit ihnen unterwegs, wenn sie die nicht schon verspeist haben. Es ist mühevoll, genug zu trinken zu finden, und das dann in Schläuchen mit sich zu führen. Es ist anstrengend, jeden Morgen hinauszugehen und den Tamariskenhonig aufzusammeln, der ihnen in der größten Not als Himmelsspeise erschienen war: Manna. Es war schlimm, auch noch mit feindlichen Beduinenstämmen kämpfen zu müssen. Es hatte Tote und Verletzte gegeben. So sind sie unterwegs, seit drei Monaten. Am liebsten wollen sie zurück: Lieber Sklaven sein in Ägypten, als in der Wüste verhungern, verdursten oder von Feinden getötet werden. Aber es gibt kein Zurück. Nur ein Ziel: das Gelobte Land. Aber es ist nicht zu sehen. Nicht von hier unten. Nicht aus der Froschperspektive.
*
Im dritten Monat nach dem Auszug der Israeliten aus Ägyptenland, an diesem Tag kamen sie in die Wüste Sinai.
Nach drei Monaten Wüste kommen sie an: nicht im Gelobten Land, sondern in der Wüste.
Nach drei Monaten Wüste kommen sie an: bei Gott.
Am Sinai. Dort ist ER zuhause. Jedenfalls hat Mose IHN dort kennengelernt. Und jetzt sollen sie IHN kennenlernen.
*
Mose stieg hinauf zu Gott.
Und mit jedem Schritt wird der Blick weiter, sieht er mehr. Er sieht unter sich die Zelte und Unterstände, die sie sich aufgebaut haben. Er sieht dazwischen die Männer und Frauen und Kinder herumwuseln. Und er sieht, wie viele es sind. Er sieht die dürre Umgebung, Wüste eben.
Und er sieht noch mehr. Er sieht das Wunder: Dass sie bis hierher gekommen sind. Dass sie noch leben. Dass die Ägypter sie ziehen ließen. Dass die Verfolger im Meer ertranken. Dass sie unterwegs nicht verhungert und verdurstet sind. Und dass die Feinde sie nicht vernichtet haben. Dass sie tatsächlich angekommen sind, hier am Gottesberg, hier, wo ER geredet hatte.
Mose sieht mehr.
Er nähert sich der Vogelperspektive.
Er nähert sich derr Himmelsperspektive. Er nähert sich der Gottesperspektive.
Und dann hört er sie wieder, Gottes Stimme. Von noch viel weiter oben, als er selber schon ist. Gott sieht von ganz oben, er sieht vom Himmel herab.
Er sieht von Ägypten bis ins Gelobte Land.
Er sieht, wo sie herkommen und wo sie hingehen.
Er sieht, was sie durchlitten haben.
Und er sieht, wie sie überlebt haben.
Und er erinnert sie daran, was sie gesehen haben – oder hätten sehen müssen:
Ihr habt gesehen, was ich an den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht.
*
Die Froschperspektive, der Blick von unten, der sieht Leid, Entbehrungen, Kampf und Angst um das Morgen.
Die Himmelsperspektive, der Blick von oben sieht  Adlerflügel, sieht Wunder, sieht Bewahrung und Segen.
Er sieht auch in die Zukunft.
Die Wege, die vor ihnen liegen.
Und den großen Plan, der schon vor Jahrhunderten begonnen hatte, als Gott zu Abraham sagte: Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein. Und: In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden (Genesis 12,2f). Dieser Plan geht weiter: Ihr sollt mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein. Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein.
*
Israel, das Volk, aus dessen Geschichte wir hier hören, ist immer wieder durch Wüsten gegangen. Von Ägypten ins Gelobte Land. Aus diesem Land in die Verbannung nach Babylon. Von dort wieder zurück. Durch die Wüstenzeiten der Fremdherrschaft. Durch die Verwüstung Jerusalems und die endgültige Zerstörung des Tempels. Durch Jahrhunderte der Zerstreuung und Verfolgung. Am meisten verfolgt wurden sie von denen, die sich auf denselben Gott beriefen: die Christen, die der Meinung waren, sie wären das wahre Israel und das alte Gottesvolk wäre für immer verworfen. Sie sind durch Schlimmeres als durch die Wüste gegangen: als man sie zu Hunderttausenden in Viehwaggons pferchte, auf Todesmärsche schickte, in Lager steckte und in die Gaskammern trieb.
Gottes eigenes Volk? Und da lässt er sie so leiden?
Vielleicht ist das doch nur der Blick von unten, der das Schlimme und das Schlimmste sieht – und doch nicht alles sieht.
Denn da ist auch das Wunder – trotz allem: Es gibt sie noch. Es gibt sie wieder. Im Land, in das sie damals schon unterwegs waren. Jetzt heißt es wieder Israel. Seit 69 Jahren. Zum ersten Mal nach mehr als zweieinhalb Jahrtausenden.
Vielleicht ist das der Blick von oben, der weiter sieht. Der Blick, der erkennt: Dies Volk ist Gottes Eigentum. Ein heiliges Volk. Deshalb gehasst und geschunden von aller Welt. Deshalb bewahrt und gesegnet von Gott. Trotz allem.
*
Israels Geschichte ist nicht unsere Geschichte. Israels Erwählung ist nicht unsere Erwählung. Aber: Israels Gott ist auch unser Gott. Denn die ganze Erde ist sein.
Darum hoffe und vertraue ich darauf, dass auch unsere Wege, auch wenn sie uns durch die Wüste führen mögen, zu Gott führen mögen, zu seinem Berg gewissermaßen, wo wir seine Stimme hören und aus seiner Perspektive weiter sehen. Und dass sie uns dann noch weiter führen – von Gott zu Gott. Am Ende in das Gelobte Land, das er für alle Welt bereitet hat.

Montag, 14. August 2017

Predigt am 13. August 2017 in Hohnstein (9. Sonntag nach Trinitatis, Festgottesdienst zur Einführung des neuen Pfarrers)

Jesus sprach: „Wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet.
Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war groß.
Matthäus 7, 24-27

Liebe Gemeinde,
das Schlimmste, was es unter religiösen Menschen geben kann, so sagt man, ist Fundamentalismus.
Fundamentalisten behaupten für sich die allein seligmachende Wahrheit zu besitzen.
Sie sind unduldsam und manchmal sogar gewaltbereit. Fundamentalismus ist ein Etikett, das wir unterschiedslos dem bibelfrommen Erzgebirger wie dem islamistischen Selbstmordattentäter umhängen.
Ein schlechtes Etikett, weil der eine mit dem andern ungefähr so viel gemeinsam hat wie ein Miezekätzchen mit einem hungrigen Löwen.
Eigentlich ist es schade, dass das Wort Fundamentalismus so verbrannt ist.
Denn Jesus ist ein Fundamentalist.
Und seine Anhänger sind Fundamentalisten.
Jesus ist ein Fundamentalist, denn er hat mit seinen Worten das Fundament gelegt.
Und wir sind Fundamentalisten, wenn wir auf seine Worte bauen.
So wie das heutige Predigtwort es sagt:
Wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute.
Wir sind Fundamentalisten, denn auf das Fundament, auf den Baugrund kommt es an.
Ich denke an unsere Lebenshäuser.
Und ich denke auch an unsere Kirchenhäuser.
Ich denke an unsere Lebenshäuser:
Jeder baut, so gut er kann.
Größer oder kleiner.
Teurer oder billiger.
Gemütlich oder repräsentativ.
Praktisch oder verspielt.
Mit mehr oder weniger Geschick.
So unterschiedlich, wie wir sind.
Nicht alles, was wir bauen, gelingt.
Nicht alles, was wir bauen, ist schön.
Und nie sind wir wirklich fertig.
So ist das, unser Leben.
Und oft, meistens beurteilen wir einander danach, was da nach außen zu sehen ist von dem, was wir gebaut haben.
Mancher schämt sich für das wenige, was er zustande gebracht hat.
Ein anderer ist stolz auf seine Lebensleistung, sein Lebenshaus.
Jesus sagt: Nichts von alledem ist so wichtig, wie das Fundament, auf dem dein Lebenshaus steht.
Was nützt das schönste Gebäude, wenn es dem Regen, dem Hochwasser, dem Sturm nicht standhält?
Was wird aus deinem Leben, wenn es ganz böse kommt?
Bricht dann alles für dich zusammen?
Und du selber?
Hältst du den Stürmen des Lebens stand?
Bleibt dein Lebenshaus stehen?
Ja, es kann böse kommen.
Manche habe ich getroffen, die haben mich gefragt:
Wie kann Gott das zulassen?
Dass mein Kind stirbt?
Dass jemand verunglückt?
Dass es Kriege und Katastrophen gibt?
Und Krebs und Alzheimer?
Und manchmal kommt das alles ganz nahe, und ich frage mich dann auch, ob und wie das alles stimmen kann: mit Gott und seiner Liebe.
Letztendlich weiß ich es auch nicht.
Aber ich weiß auch, dass Jesus nie davon gesprochen hat,
dass Gott uns vor den Regengüssen, den Hochwassern und den Stürmen verschonen würde.
Er hat davon gesprochen, dass sie kommen werden.
Er hat nicht davon gesprochen, wie wir davor bewahrt werden, sondern wie wir da durchkommen, wie wir das überstehen.
Nämlich genau so: wenn wir auf seine Worte bauen, wenn wir uns auf ihn verlassen, wenn wir auf seinen Gott vertrauen.
Wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute.
Der Fundamentalist, wie wir ihn fälschlicherweise nennen, der sieht gar nicht so sehr auf das Fundament, sondern mehr auf das Gebäude das daraufsteht.
Er meint zu wissen, in welchem Stil es errichtet werden muss, wie viele und wie große Räume darin sein sollen, wie hoch der Giebel sein darf und welche Neigung das Dach haben muss, und vielleicht gibt er sogar die Farbe für den Anstrich vor.
So ein Fundamentalist ist ein Uniformist, der irgendwie meint, sein Gott wolle alles normieren und vorschreiben.
Und am liebsten möchte er die anderen dazu zwingen, genau so zu bauen wie er selbst.
Und weil es dann doch sehr viele verschiedene Möglichkeiten gibt, wie das aussehen könnte, darum sind solche Fundamentalisten oft noch untereinander zerstritten.
Ob das Einheitsreihenglaubenshaus des Fundamentalisten aber den Unwettern wirklich standhält, das ist noch lange nicht raus.
Der Fundamentalist, wie Jesus ihn meint, der achtet vor allem anderen auf den richtigen Baugrund, und dann baut er darauf.
Manches einfach schlecht und recht, so gut er kann.
Manches so, wie es ihm gefällt.
Manches, wie er es bei jemand anderem gesehen hat.
Er weiß, dass Gott ihm viel Freiheit lässt, sein Leben zu gestalten.
Darum ist die Gemeinde der Jesus-Anhänger bunt und vielfältig und gar nicht uniformiert oder gleichgeschaltet.
Wir haben unterschiedliche Lebensentwürfe, unterschiedliche Begabungen und auch durchaus unterschiedliche Ansichten, was man auf die Worte Jesu bauen sollte und was nicht, auch politisch und moralisch.
Und so experimentieren wir und probieren wir, wie es aussehen könnte, unser Leben und unser Glauben.
Wir diskutieren und polemisieren, was wir tun und lassen sollten.
Aber wir wissen dabei, dass das alles nicht das Fundament ist, nicht die Grundlage, auf die wir bauen.
Die Grundlage ist Jesus mit seinen Worten.
Und da bin ich dann auch bei unseren Kirchenhäusern,
bei unseren Konfessionsgebäuden:
Katholisch, evangelisch, lutherisch, reformiert …
Oder auch bei den Gebäuden bestimmter Glaubenstraditionen:
Pietistisch, charismatisch, volkskirchlich oder liberal. Sie bauen allesamt auf ein Fundament, das sie nicht selber gelegt haben.
Sie bauen auf die Worte Jesu.
Darum sind sie allesamt und allemal seine Kirche:
Sie bauen auf ihn.
So sind auch wir Kirche und Kirchen, Gemeinde und Christen: in Sachsen und hinter den Bergen der Sächsischen Schweiz.
Bunt und verschieden.
Manchmal am Probieren, wie wir weiter bauen oder unser Glaubens- und Kirchengebäude erhalten können.
Manchmal am Diskutieren darüber, was aus den Worten Jesu folgt.
Aber einig darin, dass wir auf dieser Grundlage bauen.
Wir leben in einer Zeit, wo die Regengüsse, die Hochwasserfluten und die Stürme auch an unseren Kirchen rütteln – nicht so sehr an den Gebäuden wie an den Institutionen.
Die Diskussionen gehen hoch her: wie wir sie wetterfest machen können, welche Strukturen sie stabilisieren können usw.
Das Entscheidende ist und wird sein, dass wir nicht aufhören auf Jesus und sein Wort zu hören, ihm zu vertrauen und es zu tun.

Ich bin jetzt wieder dabei nach ein paar Jahren in der Ferne:
hier in dieser Kirche in Sachsen, mit meinem Leben und mit meinem Glauben, mit meinen Erfahrungen und mit meinen Zweifeln.
Ich möchte mit euch an unseren Lebens- und Glaubenshäusern bauen und gestalten und sie ausbessern und erhalten.
Vor allem aber möchte ich eins:
Fundamentalist im Sinne Jesu sein.
Euch die Worte sagen, auf die wir bauen können,
und zwar ein Haus für die Ewigkeit.