Sonntag, 24. September 2017

Predigt am 24. September 2017 (Erntedanktag)

Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!
Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: „Siehe, hier bin ich.“
Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. Und der HERR wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt. Und es soll durch dich wieder aufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat, und du wirst wieder aufrichten, was vorzeiten gegründet ward; und du sollst heißen: „Der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert, dass man da wohnen könne“.
Jesaja 58, 7-12

Liebe Schwester, lieber Bruder,
du hast die Wahl. Heute an der Urne. Oder du hast schon gewählt. – Ich darf nicht, weil ich noch keine drei Monate wieder in Deutschland lebe. So ein Quatsch!
Du hast die Wahl. Und irgendwie ist das auch komisch: Dass jetzt einer bestimmten Partei eine Stimme, meine Stimme fehlt, das ändert Nullkommafastnichts am Ergebnis. Und wo du dein Kreuzchen machst, das ändert auch Nullkommafastnichts am Ergebnis. Und doch macht die große Summe der Nullkommafastnichtse am Ende einen Unterschied. Deine Stimme bewirkt fast nichts, und sie ist doch wichtig.
Das ist nicht nur bei Wahlen so. Das ist überhaupt so. Du bist einer von über 80 Millionen Bundesbürgern – was willst du schon ändern? Du bist einer von über 7 Milliarden Weltbürgern – was kannst du schon für Einfluss nehmen auf das Weltgeschehen? Und doch: Die Mächtigen, die wirklich als einzelne etwas bewegen und entscheiden können – über Krieg und Frieden, über offene oder geschlossene Grenzen, über Leben und Tod –, die ganz Mächtigen fürchten die Stimmen der vielen Einzelnen. Darum versuchen sie immer wieder Wahlen zu beeinflussen, zu manipulieren, oder sie schaffen sie gleich ganz ab.
Du hast die Wahl. Du kannst dich entscheiden. Deine Wahl bewegt vielleicht nur eine Winzigkeit. Aber vielleicht kommt es gerade auf diese Winzigkeit an. So wie der Flügelschlag eines Schmetterlings einen Sturm auslösen kann, so können deine Entscheidungen die Welt bewegen.
Kennst du #fedidwgugl? Das ist ein Hashtag, ein Kürzel auf Twitter und in anderen sozialen Netzwerken, den sich eine der Parteien unseres Landes ausgedacht hat. #fedidwgugl soll heißen „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben.“ Zuerst haben sich alle über dieses Kürzel kaputt gelacht. Aber vielleicht war diese scheinbare Ungeschicklichkeit mit so einem dadaistischen Kunstwort am Ende gar nicht so dumm. So bleibt der Claim tatsächlich irgendwie hängen: „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben.“ – Versteh mich nicht falsch! Ich will gar nicht für diese bestimmte Partei werben, ich nenne sie ja auch gar nicht mit Namen. Aber letztlich hat sie genau den Punkt getroffen, um den es geht, wenn du wählen gehst: In welchem Land willst du leben? Wie soll es aussehen, damit du gut und gerne da lebst? – Darum geht es letztlich, glaube ich fast allen, die sich heute zur Wahl stellen. (Außer denen, die Deutschland am liebsten abschaffen wollen.)

Du hast die Wahl, sagt Gott. Für ein Land, für eine Welt, in der du gut und gerne leben kannst. Und nicht nur du, sondern auch deine Nächsten und Übernächsten, deine Kinder und deine Kindeskinder.
Du hast die Wahl, nicht nur einmal aller vier Jahre. Sondern immer wieder, jeden Tag. Denn wie du leben willst, das entscheidest du heute und morgen und jeden Tag neu. Und wie deine Mitmenschen und deine Nachkommen leben, das entscheidest du hier und jetzt.
Du hast die Wahl, ob und wie viel du bereit bist zu teilen, abzugeben: von deinem Geld, von deiner Zeit, von deiner Liebe.
Du hast die Wahl, wie du mit deinem Mitarbeiter umgehst oder mit deinem Mitbewerber oder mit deinem Mitbewohner.
Du hast die Wahl, wie du andere behandelst: die anders aussehen, anders sprechen, anders denken, anders fühlen, anders wählen als du.
Vielleicht behandelst du sie doch am besten so, dass auch sie gut und gerne mit dir zusammen leben.
Denn kann es dir gut gehen, wenn es deinem Nächsten schlecht geht?
Du hast die Wahl, und deine Wahl hat Konsequenzen.
Willst du, dass es nur dir gut geht und dem anderen nicht? – Dann wird es keinem von euch gut gehen.
Willst du, dass sie dich gerecht behandeln, und gestehst dem anderen sein Recht nicht zu? – Dann werdet ihr beide benachteiligt sein.
Willst du, dass sie dich schätzen und respektieren und behandelst andere wie Dreck? – Dann werdet ihr beide keinen Respekt erfahren.
Willst du Gottes Segen haben und erbittest ihn nicht auch für den anderen? – Dann werdet ihr beide ungesegnet bleiben.
Du hast die Wahl, sagt Gott. Ich mache dir keine leeren Wahlkampfversprechen. Ich sage nicht, dass ich alle deine Probleme lösen werde. Ich verspreche dir nicht das Blaue vom Himmel und den Himmel auf Erden. Ich bin nicht damit zufrieden, wenn du dich aller paar Jahre (wie bei der Bundestagswahl) oder aller paar Monate (etwa Erntedank und Weihnachten und Ostern) oder aller paar Wochen (wie viele, die sich für gute Christen halten) mal bei mir in der Kirche sehen lässt und mich ansonsten in Ruhe regieren lässt. Denn ich regiere nicht, indem ich euch wie Marionetten oder  – hier in Hohnstein muss ich sagen: wie Kasperpuppen – nach meiner Pfeife tanzen lasse. Ich will in euren Herzen regieren.
Du hast die Wahl, ob du mich regieren lässt oder jemand anders oder etwas anders.
Deine Wahl wird nach außen sichtbar fast nichts verändern. Aber aus den vielen Fastnichtsen wird etwas Großes: eine Welt, in der wir, in der wir alle gut und gerne leben: das Reich Gottes.

Heute ist nicht nur Wahlsonntag. Heute ist Erntedank.
Wer mit uns Erntedank feiert, der hat auch eine Wahl getroffen. Er hat sich dafür entschieden, es nicht für selbstverständlich zu nehmen, dass wir in dieser Welt gut und gerne leben können. Er sieht den Segen, der gewachsen ist und er sagt Danke dafür.
Er sieht aber auch den Mangel, das, was fehlt zum guten Leben.
Und er sieht den Nächsten, den, der Mangel leidet, der auch gut und gerne leben will, und teilt mit ihm: Inzwischen mehr symbolisch die Früchte des Feldes und des Gartens. Und praktisch auch Geld und Gut und Zeit und Verständnis und Respekt und Liebe.

Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!

1 Kommentar:

  1. habe ich sehr gerne gelesen und kann alles gesagte nachvollziehen. genial...

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